Von Villeneuve-au-Châtelot nach Gouaix


Der Tag heute begann sonnig und in einer unaussprechlichen Ruhe. Daniel hatte mich gleich nach dem Frühstück nach Villeneuve-au-Châtelot gebracht, wo ich meinen Kurs in dieser tollen Morgenstimmung fortsetzte. Die Luft war klar, aber ein wenig Schwüle lag bereits darin, die einen heißen Tag ankündigte. So ging ich das kleine Stück Teerstraße nach Barbuise, wo ich das Flüsschen Noxe überquerte, die einen so friedlichen Eindruck am Morgen machte.

Morgenstimmung an der Noxe in Barbuise

Hinter der Brücke zweigte der Weg links ab, und ich nahm einen Gedenkstein wahr, der das Bild und die Inschrift eines Georges Lapierre enthielt.

Der Gedenkstein für Georges Lapierre in Barbuise

Die Pädagogen werden jetzt sagen: Na klar, Georges Lapierre, aber ich kannte diesen Menschen nicht. Auf dem Stein stand, dass er sich sehr um das französische Schulwesen verdient gemacht hat (viele Schulen sind in Frankreich noch nach ihm benannt!), und er hat auch im Widerstand gegen die Deutschen gekämpft, bis er im Februar 1945 nach Dachau deportiert wurde und dort starb. Den Namen „Dachau“ so weit weg am Morgen in dieser friedvollen Stille, in diesem kleinen verlassenen Nest zu lesen wirft einen in seiner Stimmung wieder zurück.

Still ruht der See….

Schöne Wald- und Feldwege führten mich um einen schönen Baggersee herum, dessen Wasserspiegel heute morgen völlig glatt war. Aber gleich um die Ecke hörte ich einen Radau, der von einem Radlader kam, der die einzelnen gesiebten Kies- und Sandarten zu Bergen aufschüttete. Es war schon imposant, wie dieser Riese vor mir in den Himmel stieg, um seine Schaufel zu entleeren.

Scheint zum Himmel zu wollen, dieser Radlader…

Ein freundliches Grüßen, und ich war wieder zwischen Bäumen und Büschen. Jetzt sehe ich immer mehr Hanffelder, und in einer Größe, wovon wir in Deutschland nur träumen können! Diese dunkelgrünen Flecken kann ich jetzt gut erkennen und zuordnen.

Hanf, so weit das Auge reicht…

Seit dem Morgen sehe ich bereits den Rauch über den grünen Wipfeln im Süden aufsteigen, jetzt sehe ich auch die Verursacher: Zwei Kühltürme stehen auf der grünen Wiese und produzieren offenbar Strom. Ist es ein Kernkraftwerk? Oder ein anderes Kraftwerk? In den Karten habe ich hierzu nichts gefunden, sie stehen jedenfalls nahe bei Nogent-sur-Seine. Da hoffe ich wieder auf die Hilfe von Albert Charpentier, dieses Rätsel zu lösen.

Wozu gehöen diese zwei gespenstischen Türme???

So komme ich auf meinem weiteren Weg nach Pont-Saint-Nicolas, wo ich eine sehenswerte Dorfidylle erlebe. Was man auf dem Bild nicht sieht, sind der geflohene Fischreiher und die Entenfamilie, die sich oben am Bildrand versteckt.

Ist das nicht romantisch???

Über größere Umwege kann ich weitgehend auf Nebenwegen gehen, und die Teerstraßen vermeiden, weil bei mittlerweile hohem Sonnenstand der Teer eine ordentliche Temperatur aufweist, die man in den Beinen spürt! Neben der Straße plötzlich ein bräunliches Feld, dessen Bewuchs sich bald als reifes Mohnfeld präsentiert.

So sieht reifer Mohn aus, als ganze Pflanze…
… und die Samen, die wir von der Mohnsemmel und vom Mohnkuchen her kennen

Ich habe eine Kapsel geknackt, um zu sehen, ob der Mohn schon reif ist. Tatsächlich rieselten die trockenen, blaugrauen Samen ungebremst in meine Hand. Eine organoleptische Prüfung (die ich als Apotheker auch im Studium bei der organischen Analyse immer bevorzugt habe) erbrachte das Ergebnis: Einsatzfähig!!

Mein Wasser in den Flaschen wird warm, kurz vor der Überquerung der D 619 kann ich in einem Friedhof an einer Wasserpumpe frisches Wasser zapfen, Arme und Gesicht kühlen und satt trinken.

Nicht mal mehr 100 km bis Paris…

Bei Le Mériot überquerte ich die D 619 und stellte fest, dass ich nicht einmal mehr 100 Kilometer von Paris entfernt bin, das ich im Süden umgehen will. Das Land wird wieder etwas hügeliger, ich drücke mich in den Schatten der Bäume, denn es wird langsam unbarmherzig.

Es kommt wieder Abwechslung in die Landschaft

Im Gras achte ich auf jeden Schritt, und tatsächlich erspähe ich eine Schlange, die es bei uns nicht gibt, aber bereits tot war. Wenn man tatsächlich diese Abkürzungen geht, muss man mit allem rechnen.

Kann das eine Hierophis viridiflavus sein??
Auch das kommt vor: Richtig Dschungel!!

Der Weg führt mich nun über Hermé, und ich sehe immer mehr Autokennzeichen mit „77“ bzw. „94“. Ich war also nicht mehr im Ardenne-Champagne-Gebiet, ich war bereits in der Île de France, dem Großraum von Paris. Dies entnahm ich dem Schild am Ortseingang von Gouaix, meinem heutigen Etappenziel!

Ich bin in der Île de France angekommen…

Und da sollte es auch eine Bar geben, in der ich auch etwas anderes bekomme als Wasser. Der Ort zieht sich hin, ich sehe die Bar „La Rennaissance“ vor mir, aber: Der Laden ist halb heruntergelassen, keine Hinweise auf Öffnungszeiten.

Zumindest stehen neben der Bar ein paar Tischchen und Stühle im Schatten, ich nehme Platz und informiere Daniel, dass er mich abholen kann. Dann nehme ich ein Heftchen aus dem Rucksack, das ich mir extra eingesteckt hatte, weil darin die Winzer der Champagne vorgestellt werden, und ich mit Daniel heute noch eine Champagnerprobe machen will. Das Dorf ist wie ausgestorben, eine Stimmung in der Hitze wie High Noon, da passiert es: Ich nehme ein Auto wahr, das an mir vorbei fährt, dann plötzlich ein Knall, und ich sehe das Auto kippen und durch die Luft fliegen. Der Wagen war an ein auf der linken Seite geparktes Auto aufgefahren, 10 Meter von mir entfernt! Ich bin der einzige auf der Straße, ich eile zum Auto und klopfe und rufe, ob mich jemand hört. Da kamen Geräusche aus dem Innern, und gleich kam ein Kopf zum Vorschein, völlig unter Schock. Der junge Mann kletterte heraus, taumelte, ich brachte ihn im Schatten zum Liegen und beruhigte ihn. In der Zwischenzeit kamen die Leute aus ihren Häusern, der Mann erholte sich wieder, und gemeinsam stellten wir den Wagen wieder auf die Räder, um ihn an den Rand zu schieben und die Blockade aufzuheben.

Keine 10 Meter neben mir… das Foto machte ich später ohne Zoom von meinem Stuhl aus

Die Theorie, die ich den eilig geführten Telefonaten entnahm, war, dass der Mann eingeschlafen sei. Egal, ob eingeschlafen oder rumgekruscht, jedenfalls wäre das 2 Sekunden früher das Ende meiner Reise gewesen, und zwar am Bürgersteig!

Daniel holte mich ab, ich machte mich reisefertig, und wir fuhren nach Sézanne zu einem Winzer, den ich in diesem Heft ausgesucht hatte, und trafen auf die Dame des Hauses, die uns wohlwollend und einfühlsam die Geheimnisse der Champagnerproduktion erläuterte. Ein Prost galt dabei heute dem Schutzengel, der wohl im richtigen Moment bei mir war!

Ein Prosit auf die Gesundheit – und auf den Schutzengel!!!

6 Antworten zu “Von Villeneuve-au-Châtelot nach Gouaix”

  1. Hallo Franz,
    freue mich deine Tage mitverfolgen zu können.
    Schön, dass Ihr Sohn Daniel zu Ihnen gekommen ist.
    Wir verfolgen Ihre Fahrt täglich auf der Karte.
    Der Besuch beim Winzer muss nach dem Unfall, den Sie vielleicht miterlebt haben, geschätzt worden sein.
    Danke an den Schutzengel!
    Bis bald, Broons wartet auf Sie. Francis, Patricia und Simon

  2. Bonjour Hans
    Merci pour ton blog qui nous permet de voyager , de découvrir de magnifiques paysages de notre belle France , admirons ton courage de marcher sous cette chaleur,
    Encore un peu de courage, la Bretagne se profile à l’horizon
    Au plaisir de te suivre et surtout au plaisir de nous retrouver le 27
    Monique et Gustave

    • Liebe Monique, lieber Gustave,
      es ist wunderschön, dass euch mein Blog interessiert und ihr jeden Tag bei mir seid!! Ich denke auch oft an euch un dfreue mich wirklich riesig auf den 27.08., wo wir alle uns wiedersehen werden, nach 1,250 km Fußmarsch!
      Liebe Grüße
      Hans

  3. Ein Glück, Hans ! Wandern ist und bleibt eine Extremsportart…
    Tolle Bilder, auch wenn ich diese riesigen Agrarwüsten immer mit gemischten Gefühlen sehe. Aber das ist ja auch nur in manchen Teilen Frankreichs so.
    Am Freitag fahren wir nach Bordeaux.

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